Lebenszeit

Das Kind fragte: „Vater, wie funktioniert das Leben?

Der Vater antwortete: „Zuerst musst du eine Ausbildung machen. Damit du Geld verdienen kannst.

Wofür brauche ich das Geld?„, fragte das Kind.

Damit du dir Dinge kaufen kannst. Alles, was zum Leben wichtig ist„, sagte der Vater.

Was ist denn wichtig, Vater?„, fragte das Kind.

Wichtig sind Dinge, die man mit Geld nicht kaufen kann. Lebensfreude, Zuversicht und Zufriedenheit. All das kann man mit Geld nicht kaufen„, sagte der Vater. „Und natürlich kann man auch Mut, Liebe und Gesundheit nicht kaufen.“

Das verstehe ich nicht„, sagte das Kind.

Ich verstehe es auch nicht„, sagte der Vater.

Denn wir kaufen mit Geld Dinge, die wir nicht brauchen. Dafür tun wir eine Arbeit, die wir nicht mögen. Um mit dem Lohn dann wieder Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen. Um damit Häuser und Wohnungen zu erhalten, in denen wir kaum leben. Weil wir fast nie zu Hause sind. Bloß ein paar Stunden am Abend und an den Wochenenden. Die freie Zeit wird dann mit Einkaufen verbracht. Shoppen nennt man das„, sagte der Vater.

Und welchen Sinn soll das haben?„, fragte das Kind, während es ungläubig den Kopf schüttelte.

Oh, das weiß ich schon!“, sagte der Vater. „Wir füllen damit die Leere in unserem Inneren.

Wäre es dann nicht besser, erst gar nicht damit anzufangen?„, fragte das Kind.

Das wäre sicher sehr viel besser„, sagte der Vater.

Und warum tun die Menschen dann genau das Gegenteil? Warum kaufen sie Autos, die sie vielleicht gar nicht bräuchten, wenn sie nicht zu einer Arbeit fahren müssten, die sie nicht mögen, um mit dem Lohn Häuser und Wohnungen zu bezahlen, in denen sie kaum leben?„.

Weil sie es nicht besser wissen„, sagte der Vater.

Dann möchte ich das lernen„, sagte das Kind.

Ja, das kannst du machen„, sagte der Vater. „Dann gehst du in die Schule des Lebens. Vielleicht bringt dich das weiter, als all die Diplome und Zeugnisse, die ich angehäuft habe.

Das Buch des Lebens…

Ausbildung

Der alte Mann saß auf einem Stein und schaute in die Ferne. Ein altes und schon sehr vergilbtes Buch lag neben ihm. Das Buch des Lebens.

Da fiel sein Blick auf etwas, was sein Schutzengel zur Stunde seiner Geburt dort eingetragen hatte. Der alte Mann hatte die Worte schon lange vergessen. Deshalb war es gut, sich jetzt daran zu erinnern. Denn das Leben war kurz und der Satz seines Schutzengels lautete:

Als wer möchtest du gehen? Welcher Mensch willst du sein, wenn eines Tages deine letzte Stunde schlägt?

Diese Worte berührten den alten Mann tief im Inneren. Denn sie erinnerten ihn auch daran, was sein Vater ihm vor vielen Jahren mit auf den Weg gegeben hatte:

„Alle Menschen, mit denen ich jemals Kontakt hatte, sind Lehrer. Nicht nur diejenigen, mit denen ich mich gut verstanden habe. Auch diejenigen, mit denen ich Stress und Streit hatte.

Denn sie lehren mich, gut auf mich selbst zu achten, innerlich ganz bei mir zu bleiben, mich nicht auf Spiegelkämpfe einzulassen. Sie lehren mich, dankbar zu sein. Dankbar dafür, dass manch „grober“ Hinweis im Grunde nur dazu da ist, einen Moment inne zu halten und mich zu fragen: Was braucht es, um meinem Weg treu zu bleiben?

Denn andere Menschen haben andere Meinungen. Es geht nicht darum, andere Menschen zu überzeugen oder über deren Lebenswege zu urteilen – es geht darum, authentisch zu sein und Entscheidungen zu treffen.

Denn die wichtigste Verbindung ist die zu uns selbst. Mit uns selbst gehen wir jeden Abend schlafen, mit uns selbst wachen wir jeden Morgen auf.“

Als der alte Mann über diese Worte nachdachte, war er froh. Denn er hatte nichts versäumt.

©Gerlinde Ullmann 2021
Geschichten und Märchen für Erwachsene

Der Lebensgarten

Tipps und Tricks für stress- und konfliktfreie Kommunikation

Manchmal ist das Leben wie ein Garten. Man macht einen Plan, legt Beete an, kauft Samen und Pflanzen und überlegt sich, an welcher Stelle was genau wachsen soll. Man kann es kaum erwarten und in den dunklen Stunden des Winters hält einen die Vorfreude über Wasser.

Und dann ist es endlich da, das Frühjahr, lang erseht, und mit Staunen beobachtet man, wie von einem Tag auf den anderen alles blüht und gedeiht.

Oder auch nicht.

Denn in manche Pflanze investiert man sehr viel Energie, man hegt und pflegt sie, gibt all sein Herzblut hinein und am Ende verdorrt sie doch. Die Saat geht nicht auf und enttäuscht fragt man sich, was falsch gelaufen ist.

Dafür wächst manchmal an anderer Stelle etwas, niemals hätte man das gedacht, keinerlei Augenmerk hat man der Stelle geschenkt und trotzdem ist da plötzlich etwas, das wunderschön anzusehen ist und Freude macht.

Leben passiert, während man andere Pläne macht. Und das Leben lacht.

©Gerlinde Ullmann 2019
Geschichten und Märchen für Erwachsene

Die Kutsche und der Weg

Als ich begonnen habe, meinen eigenen Weg zu gehen, nicht den, den ich meinte, gehen zu müssen, sondern den, den meine Seele mir vorgab, bin ich noch lange Zeit mit einer Kutsche gefahren„, erzählte die alte Frau.

Es war keine außergewöhnliche Kutsche, nicht golden und verziert, sondern ein praktisches Gefährt, das vor mir schon viele andere Menschen verwendet hatten. Als ich dann beschloss, einen neuen Weg zu gehen, war mir gar nicht klar, dass ich immer noch die alte Kutsche verwende und versuche, damit den neuen Weg zu bewältigen. Zwar hat es gerumpelt, es war unbequem und irgendwie überhaupt nicht mehr stimmig, aber wie das so oft im Leben ist: Man nimmt das Gefährt, das man kennt. Einfach deshalb, weil es vertraut ist und viele Jahre gute Dienste geleistet hat.“

Und was ist falsch daran?„, fragte das kleine Mädchen, das zu den Knien der alten Frau saß.

Nichts ist falsch daran„, antwortete die alte Frau.

Aber erst, als ich die Kutsche bewusst verlassen, sie untergestellt, versorgt und abgedeckt habe, konnte ich den neuen Weg gehen. Das war jetzt viel weniger komfortabel. Ich musste zum ersten Mal in meinem Leben wirklich zu Fuß gehen.

Und wie ist es dir dabei ergangen?„, fragte das Kind.

Das war kein Spaziergang„, antwortete die Alte.

Mal stieg der Weg steil an, mal fiel er ab. Aber der Weg wollte begangen werden und die Kutsche war dafür nicht geeignet. Der Weg wollte bewusst begangen werden, nicht einfach überfahren.“

„Und hat es sich gelohnt?“, fragt das Kind.

Manchmal habe ich beim Gehen geweint„, erzählte die alte Frau.

Die Tränen waren nicht traurig und sie waren nicht fröhlich. Sie waren einfach da und sind übergeflossen. Wie Wasser, das ein Flussbett reinigt und auch noch die kleinste Ritze mit neuem Leben erfüllt.

Und weißt du was?„, lachte die alte Frau. „Dadurch habe ich gelernt, mich selbst zu lieben.

Dich selbst zu lieben?„, staunte das Kind. „Das verstehe ich nicht„.

Ja, ich habe gelernt, mich selbst zu lieben und so zu akzeptieren, wie ich bin. Weil es schöner ist, sich selbst den Weg zu bahnen und dabei durch Wälder und Wiesen zu Fuß zu gehen, als auf vorgefertigten Wegen in einer Kutsche zu fahren.

Darüber muss ich nachdenken„, sagte das Kind.

©Gerlinde Ullmann 2018
Geschichten und Märchen für Erwachsene

Die Geschichte vom kleinen Baum

Coaching Supervision Mediation Seminare Workshops

Es war einmal ein kleiner Baum. Er lebte mitten im Wald unter vielen anderen Bäumen. Alle um ihn herum waren groß und stark, schön und kraftvoll. Nur der kleine Baum nicht. Er war geknickt, sein Stamm krumm und weil er so traurig war, wurden seine Blätter schon vor der Zeit welk. Denn der kleine Baum war unglücklich.

„Was ist bloß los mit mir? Warum bin ich so? So anders als die anderen Bäume?“, fragte er sich. Und dann fing er an zu weinen. Er weinte so bitterlich, das ihn eine Eule besuchen kam. Sie setzte sich auf einen seiner krummen Äste und fragte: „Kleiner Baum, was ist los mit dir?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete der kleine Baum. „Ich bin so anders als die anderen. Sie sind groß und schön, stark und kräftig. Nur ich bin klein und krumm.“

„Und warum kümmert dich das?“, fragte die Eule.

„Warum mich das kümmert? Was ist das denn für eine Frage?“

„Ja“, sagte die Eule. „Warum kümmert dich das?“

„Na, weil… weil…“, stotterte der kleine Baum.

„Siehst du“, sagte die Eule, „du weißt keine Antwort“.

„Natürlich weiß ich die Antwort!“, sagte der kleine Baum. „Ich will groß und stark sein, so wie die anderen! Ich will nicht so sein wie ich. So klein und krumm.“

„Du bist also unglücklich, weil du dich mit anderen vergleichst?“, fragte die Eule.

„Ja“, sagte der kleine Baum. „Ich bin unglücklich, weil ich mich mit anderen vergleiche!“

„Und was würdest du anders machen, wenn du anders wärst“, fragte die Eule?

„Was ich anders machen würde?, fragte der kleine Baum verblüfft.

„Ja“, sagte die Eule. „Was würdest du anders machen, wenn du anders wärst?“

„Hm. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht“, sagte der kleine Baum. „Wenn ich anders wäre, wäre ich glücklich! Genau! Das ist die Antwort!“

„Aha“, sagte die Eule. „Und warum willst du glücklich sein?“

„Also wirklich, Eule, du stellst aber dumme Fragen! Warum ich glücklich sein will? Jeder will doch glücklich sein! Und wenn ich so wäre, wie die anderen, dann wäre ich glücklich!“, antwortete der kleine Baum voller Ãœberzeugung.

„Was würdest du denn machen, wenn du glücklich wärst?“, fragte die Eule weiter.

„Was ich dann machen würde? Na, ich würde… ich würde…“, stotterte der kleine Baum wieder.

„Ja“, sagte die Eule. „Was würdest du tun, wenn du glücklich wärst? Wie würdest du sein, wie leben wollen?“

„Wenn ich glücklich wäre, würde ich genau hier leben wollen“, sagte der kleine Baum. „Hier ist es schön. Hier bin ich geboren, meine Wurzeln fühlen die Erde, meine Blätter spüren das Sonnenlicht und in meinem Stamm wohnen Vögel und Eichhörnchen.“

„Aha“, sagte die Eule. „Und was würdest du tun, wenn du unglücklich wärst?“

„Wenn ich unglücklich wäre? Na, dann würde ich auch hier sein wollen. Hier zwischen den anderen Bäumen. Hier ist doch mein Zuhause!“

„Eben“, sagte die Eule. Und flog davon.

©Gerlinde Ullmann 2018
Geschichten und Märchen für Erwachsene

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